• Skip to main content

Gruppe Niederrhein der DFG-VK

  • Startseite
  • Themen
    • Denkmal Kalkar
    • Friedensgedanken
  • Rückblick
    • weitere Aktionen
    • Plakatwand 2022
    • Volkstrauertag
    • Fest ohne Grenzen 2022
    • Ostermarsch in Krefeld 2022
    • Ostermarsch Rhein-Ruhr 2022
    • Mahnwachen in Krefeld
    • Friedenskundgebung in Krefeld am 05.03.2022
    • Friedenskundgebung in Düsseldorf am 25.02.2022
  • Über uns
    • Impressum


„Wie ein Schuss He­ro­in“ – 09.04.22 in der SZ, S. 33

Die Gräu­el­ta­ten der rus­si­schen Ar­mee scho­ckie­ren. Wie konn­te es zu die­ser Ver­ro­hung kom­men? Neu­ro­psy­cho­lo­ge Tho­mas El­bert über die Ab­grün­de der mensch­li­chen See­le im Krieg

In­ter­view: Chris­ti­na Berndt

SZ: Die Welt blickt fas­sungs­los auf But­scha. Sie auch?

Tho­mas El­bert: Ich ha­be mit mei­nem Team schon in so vie­len Kriegs­ge­bie­ten ge­ar­bei­tet. Ob im Kon­go, in Bu­run­di, Sri Lan­ka, Af­gha­ni­stan, Ko­lum­bi­en oder auf dem Bal­kan – über­all zeigt sich: Krie­ge sind im­mer grau­sam und schmut­zig. Es wä­re na­iv zu den­ken, dass es in Eu­ro­pa an­ders sein könn­te.

Wahr­schein­lich konn­ten sich vie­le kaum vor­stel­len, dass ein Volk wie das rus­si­sche, das als so kul­tu­rell hoch ent­wi­ckelt gilt, mit­ten in Eu­ro­pa sol­che Kriegs­ver­bre­chen be­geht.

Da er­in­ne­re ich mich an ein an­de­res kul­tu­rell hoch ent­wi­ckel­tes Volk, das vor 80 Jah­ren den gan­zen Kon­ti­nent mit ei­nem furcht­ba­ren Krieg über­zo­gen hat. Krieg be­deu­tet für al­le, die dar­an teil­neh­men, Ge­walt und Grenz­erfah­rung. Hun­ger, Käl­te, Schlaf­ent­zug, Le­bens­ge­fahr – das macht et­was mit den Men­schen. Und lei­der rich­tet sich die Ge­walt der Sol­da­ten am En­de im­mer auch ge­gen die Zi­vil­be­völ­ke­rung.

Aber die meis­ten die­ser Män­ner, die im Krieg Men­schen ab­schlach­ten, ha­ben vor Kur­zem noch ih­re Kin­der lieb­kost und ih­re Kat­zen ge­strei­chelt. Sie wis­sen, was Mo­ral ist. Wie­so löst sich die­ser zi­vi­li­sa­to­ri­sche Fir­nis so schnell auf?

Mo­ral und Er­zie­hung wir­ken durch­aus nach. Wenn man ei­ne Trup­pe jun­ger Män­ner an die Front schickt, wird ein gro­ßer Teil dem Be­fehl, Ge­walt aus­zu­üben, erst ein­mal gar nicht ge­hor­chen. We­ni­ger als die Hälf­te wird auf den Geg­ner schie­ßen, selbst wenn ihr ei­ge­nes Le­ben be­droht ist. Das weiß man schon seit dem US-Bür­ger­krieg. Dort wur­den die Ge­fal­le­nen auf dem Schlacht­feld un­ter­sucht, ein Gro­ß­teil hat­te die da­mals ein­schüs­si­gen Ge­weh­re nicht ab­ge­feu­ert. Das­sel­be Pro­blem hat­te die US-Ar­mee bei der In­va­si­on in der Nor­man­die.

Das wird den Ge­ne­rä­len kaum ge­fal­len ha­ben. Was tun sie, um die Ge­walt­be­reit­schaft ih­rer Trup­pe zu er­hö­hen?

Die Trai­nings­me­tho­den ha­ben sich ge­än­dert. Sol­da­ten üben nicht mehr mit Schieß­schei­ben, son­dern mit Fi­gu­ren in Men­schen­form. Das wich­tigs­te Mit­tel aber ist Pro­pa­gan­da. Man muss den Sol­da­ten er­zäh­len, dass es gar kei­ne Men­schen sind, auf die sie schie­ßen. Son­dern eben Un­ter­men­schen, Un­ge­zie­fer, Leu­te, die die Welt ver­nich­ten wol­len. Die rus­si­sche Füh­rung sagt, dass die Ukrai­ne an ei­nem Ge­schwür aus Na­zis er­stickt, das man zer­schla­gen muss. Da­durch füh­len sich die Sol­da­ten mo­ra­lisch so­gar in der Pflicht zu tö­ten.

Und dann macht am En­de je­der mit?

Nicht je­der, aber doch ein Gro­ß­teil. Ein­fa­cher ist es, wenn man nicht mit er­wach­se­nen Sol­da­ten ar­bei­tet, son­dern noch jün­ge­re Män­ner re­kru­tiert, 16-Jäh­ri­ge oder, wie häu­fig in Afri­ka, zwölf­jäh­ri­ge Kin­der­sol­da­ten ein­setzt. Wenn im Kon­go ei­ne Schul­klas­se ent­führt wird und man al­le Jungs zu Kin­der­sol­da­ten macht – sie quält und hun­gern lässt und dann von ih­nen for­dert, den ers­ten Men­schen zu er­schie­ßen, dann ster­ben et­wa ein Drit­tel der Jungs in die­sem Pro­zess. Aber die an­de­ren wer­den zu blut­rüns­ti­gen Sol­da­ten.

Tut der kol­lek­ti­ve Rausch dann noch sein Üb­ri­ges?

Das ist ein ganz wich­ti­ger Fak­tor. Wenn al­le um mich her­um tö­ten und ih­re Ge­walt­fan­ta­si­en aus­le­ben, dann wird es auch für mich im­mer wahr­schein­li­cher, mich zu be­tei­li­gen. Bei Mas­sa­kern sind oft al­le da­bei. Da­mals in Ru­an­da zum Bei­spiel wur­den 1994 an ei­nem Zu­fluchts­ort 20 000 Tut­si von Hu­tu er­schla­gen. Um so vie­le Men­schen nur mit Knüp­peln und Ma­che­ten um­zu­brin­gen, braucht man vie­le Leu­te: Wir ha­ben re­kon­stru­iert, dass so gut wie al­le mit­ge­macht ha­ben müs­sen.

Sind al­so al­le Men­schen zu so et­was fä­hig, auch Mäd­chen und Frau­en?

Es gibt durch­aus Kämp­fe­rin­nen, mit de­nen nicht zu spa­ßen ist. Aber ich se­he schon ei­nen Un­ter­schied zwi­schen Män­nern und Frau­en. Neh­men Sie mal ei­ne ganz nor­ma­le Schul­klas­se von 16-Jäh­ri­gen. 95 Pro­zent der jun­gen Män­ner spie­len Bal­ler­spie­le wie „Fort­ni­te“, von den jun­gen Frau­en kei­ne fünf Pro­zent. Bei den Jungs gibt es ei­ne stär­ke­re in­trin­si­sche Fas­zi­na­ti­on für Kampf und Aus­ein­an­der­set­zung.

Es dürf­te von den Com­pu­ter­spie­len aber doch ein gro­ßer Schritt hin zu ech­ten Ge­walt­ta­ten sein.

Es ist ein Schritt, aber im Krieg kann aus der Fas­zi­na­ti­on für Ge­walt eben ech­te Mord­lust wer­den. Wir ha­ben Mit­glie­der be­waff­ne­ter Grup­pen in Kriegs­ge­bie­ten auf vier Kon­ti­nen­ten ge­fragt. Sie sag­ten dann, dass das ers­te Tö­ten ganz schlimm war. Mir wur­de übel, sag­ten sie, ich konn­te nicht mehr schla­fen. Aber Be­fehl ist Be­fehl, sie ha­ben wei­ter­ge­macht, und dann fing es an, ih­nen Spaß zu ma­chen, sie ka­men in ei­nen rich­ti­gen Blut­rausch hin­ein.

Ha­ben die dann re­gel­rech­te Lust am Tö­ten?

Al­le, die wir ge­fragt ha­ben, be­rich­ten uns, wie sie im Mo­ment des Kamp­fes von dem Ge­fühl ap­pe­ti­ti­ver Ag­gres­si­on da­von­ge­tra­gen wer­den. Das ist mehr als die re­ak­ti­ve Ag­gres­si­on, die man ent­wi­ckelt, wenn man sich ge­gen ei­nen An­grei­fer wehrt. Es ist ei­ne Ag­gres­si­on, bei der man Ap­pe­tit auf Ge­walt hat, Lust da­bei emp­fin­det. Wer die­se Ag­gres­si­on ver­spürt, der ver­gisst, dass er selbst ster­ben könn­te. Es ist für ihn, als wür­de er auf der Jagd Beu­te er­le­gen, das ist mit po­si­ti­ver Er­re­gung ver­bun­den. Wie ein Schuss He­ro­in. Man will dann noch ei­nen und noch ei­nen.

Lust auch im se­xu­el­len Sin­ne?

Das ha­ben wir die Män­ner in un­se­ren Feld­stu­di­en auch ge­fragt. 80 Pro­zent sag­ten, wie kommst du auf so ei­ne ver­rück­te Idee? Aber je­der Fünf­te sag­te, ja, ich fin­de es se­xu­ell auf­re­gend, wenn in den Kampf zu zie­he. Je­der Zwei­te von ih­nen hat da­bei ei­ne Erek­ti­on.

Sie sa­gen, oh­ne Pro­pa­gan­da schie­ßt nur je­der Zwei­te. Was stimmt mit de­nen nicht, die von An­fang an los­bal­lern?

Grund­sätz­lich ha­ben sie den Be­fehl be­kom­men zu schie­ßen. Und sie ha­ben Angst, die­sen Be­fehl zu ver­wei­gern, dann wer­den sie ja selbst er­schos­sen. Man treibt die Leu­te da al­so mit ei­nem ge­wis­sen Druck hin­ein. Wes­halb je­der Zwei­te dem Druck so­fort nach­gibt? Der Grund da­für dürf­ten ei­ge­ne Ge­walt­er­fah­run­gen sein. In Dä­ne­mark wur­de mal aus­ge­wer­tet, wie sich jun­ge Men­schen ent­wi­ckeln, die we­gen Ge­walt­er­fah­run­gen im Kran­ken­haus be­han­delt wer­den muss­ten. Die schla­gen dann ir­gend­wann zu­rück. Fast ein Drit­tel wird so kri­mi­nell, dass sie selbst spä­ter in Po­li­zei­ak­ten auf­tau­chen. Wir den­ken, Ge­walt sei nur ein Pro­blem in an­de­ren Kul­tu­ren. Da­bei se­hen wir nur nicht hin.

Psy­chisch krank sind die­se Leu­te aber nicht?

Wir ha­ben das bei Ge­fäng­nis­in­sas­sen in ver­schie­de­nen Län­dern un­ter­sucht, da wa­ren er­staun­lich we­ni­ge Ge­walt­tä­ter psy­chisch krank. Hin­ter der Nei­gung zur Ge­walt liegt in der Re­gel ei­ne Mi­schung aus feh­len­der Hemm­schwel­le – die wur­de eben in der Er­zie­hung nicht auf­ge­baut –, aus vor­ge­leb­ter Ge­walt und viel­leicht noch ei­ner un­glück­li­chen Gen­kom­bi­na­ti­on.

Nun spre­chen wir aber nicht von Kämp­fen zwi­schen Sol­da­ten, in But­scha wur­den Zi­vi­lis­ten er­nied­rigt, ge­quält und er­mor­det.

Sol­che Ge­walt­ta­ten wer­den in den sel­tens­ten Fäl­len von jun­gen Sol­da­ten ver­übt. Um sol­che Ge­walt in ei­ne Stadt zu tra­gen, re­kru­tiert die rus­si­sche Füh­rung Kämp­fer aus dem Tsche­tsche­ni­en­krieg oder sol­che, die schon in Sy­ri­en im Ein­satz wa­ren. Bei de­nen ist die Hemm­schwel­le schon längst weg. Sie be­gin­nen mit den Gräu­el­ta­ten. Und dann wird es im­mer schwie­ri­ger für die an­de­ren. Wer nicht mit­macht, wird er­schos­sen. Al­so macht man mit. So es­ka­liert die­ser Krieg wie je­der an­de­re auch.

Wel­che Rol­le spielt die Er­nied­ri­gung, die die Sol­da­ten selbst in ih­rer Aus­bil­dung er­le­ben?

Das müs­sen die Aus­bil­der sehr gut do­sie­ren. Der Drill darf nicht so weit ge­hen, dass die Sol­da­ten selbst in die Angst hin­ein­kom­men. Man kämpft bes­ser, wenn man sich fas­zi­nie­ren lässt, wenn man von der Ge­walt als Mit­tel über­zeugt ist. Ge­ne­rä­le wol­len Kämp­fer, die Lust auf Kampf ha­ben und kei­ne Angst.

Ist die­se Lust an der Ge­walt am En­de ein­fach nor­mal?

Lust an der Jagd wohnt den Men­schen in­ne, so wie die Kat­ze hin­term Woll­knäu­el her­rennt. Und ein Stück weit müs­sen wir es wohl ak­zep­tie­ren, dass Sol­da­ten von Ge­walt fas­zi­niert sind, wenn wir es ih­nen zu­mu­ten, wel­che aus­zu­üben. Aber ab­seits des Krie­ges kann man die­se Lust in fried­li­cher Form aus­le­ben. Man kann hin­ter ei­nem Fuß­ball her­ren­nen oder Schach spie­len, das ist ja auch ein sehr krie­ge­ri­sches Spiel.

Ver­ge­wal­ti­gun­gen er­schei­nen als spe­zi­el­le Form von Ge­walt, mit der man de­mü­ti­gen, Fa­mi­li­en zer­stö­ren und wo­mög­lich gar den Ge­no­zid be­för­dern will. Ist so et­was von oben ge­plant?

Ver­ge­wal­ti­gun­gen gibt es in je­dem Krieg. Aber sie wer­den meist nicht von oben be­foh­len. Wir ha­ben in un­se­ren Stu­di­en Leu­te, die im Krieg ver­ge­wal­tigt ha­ben, ge­fragt, ob ih­nen ihr Com­man­der das be­foh­len hat. Aber es hieß meis­tens, die Com­man­der hät­ten es nur to­le­riert. Ver­ge­wal­ti­gun­gen schei­nen bei jun­gen Män­nern, die un­ter Stress ste­hen, kei­ne Be­frie­di­gung in so­zia­len Be­zie­hun­gen fin­den, se­xu­ell de­pri­viert sind und bei de­nen die Hemm­schwel­len oh­ne­hin schon nie­der­ge­ris­sen sind, eher die Re­gel zu sein als die Aus­nah­me.

Wenn die Spi­ra­le der Ge­walt ein­mal be­gon­nen hat, kann man sie dann noch brem­sen?

Wenn es ein­mal an­ge­fan­gen hat, ist es schwer zu stop­pen. Der Rausch wird im­mer grö­ßer. Und auch auf der Sei­te der Fein­de wächst der Hass. Es gibt dann am En­de kei­ne Zu­rück­hal­tung mehr.

Wer im Krieg Gräu­el­ta­ten ver­übt, ist of­fen­bar nicht un­be­dingt krank. Aber wie krank sind die­se Män­ner hin­ter­her?

Ge­ra­de die ap­pe­ti­ti­ven Kämp­fer sind gut ge­gen Trau­ma­ta ge­schützt. Das liegt dar­an, dass ih­re Kampf­erleb­nis­se für sie nicht nur ne­ga­tiv be­setzt sind – selbst wenn der Ka­me­rad ge­stor­ben ist. Sie emp­fin­den sich als Hel­den. Das macht sie stark.

Aber manch­mal wer­den sie in der Hei­mat gar nicht als Hel­den emp­fan­gen …

Das ist den US-Sol­da­ten nach dem Viet­nam­krieg pas­siert. Da ka­men sie nach Hau­se, und plötz­lich hat die Zi­vil­ge­sell­schaft ge­sagt, was habt ihr denn da für Schwei­ne­rei­en ge­macht? Dann klapp­ten die Sol­da­ten oft noch im Nach­hin­ein zu­sam­men.

Hat die Aus­übung von Ge­walt auch dau­er­haf­ten Ein­fluss auf das Ge­hirn?

Aus Ex­pe­ri­men­ten an Kat­zen und Af­fen wis­sen wir, dass es im Ge­hirn un­ter­schied­li­che Re­gio­nen für die Ty­pen von Ag­gres­si­vi­tät gibt. Wenn man die ei­ne Re­gi­on im Hy­po­tha­la­mus sti­mu­liert, wird das Tier re­ak­tiv ag­gres­siv, es will sich ver­tei­di­gen. Es legt die Oh­ren an, zeigt die Zäh­ne, macht den Bu­ckel. Ei­ne Re­gi­on gleich da­ne­ben macht da­ge­gen ap­pe­ti­tiv ag­gres­siv, die Kat­ze wird zum Jä­ger. Sie stellt die Oh­ren auf, ist zum Sprung be­reit. Wenn man die­se neu­ro­na­len Net­ze ge­mein­sam mit dem Be­loh­nungs­sys­tem im­mer wie­der ak­ti­viert, brennt sich das ein im Ge­hirn. Un­ser fron­ta­ler Cor­tex, mit dem wir un­se­re Emo­tio­nen re­gu­lie­ren kön­nen, hat dann im­mer mehr Mü­he, Ag­gres­si­ons­be­reit­schaft zu kon­trol­lie­ren.

Wie las­sen sich sol­che Sol­da­ten nach dem Krieg wie­der in ei­ne Ge­sell­schaft in­te­grie­ren?

Sie müs­sen ei­nen Rol­len­wech­sel voll­zie­hen. Man muss ih­nen die Mög­lich­keit bie­ten, sich mit Sport aus­zu­to­ben. Ih­nen muss klar sein, dass sie Er­fah­run­gen ge­sam­melt ha­ben, die sie nur mit we­ni­gen an­de­ren tei­len kön­nen. Das sind kei­ne Ge­schich­ten, mit de­nen man bei der Oma an der Kaf­fee­ta­fel punk­tet. Wir bie­ten in un­se­ren Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gram­men jun­gen Leu­ten des­halb den Aus­tausch mit an­de­ren ehe­ma­li­gen Kämp­fern an, das funk­tio­niert gut. Aber manch­mal auch nicht. Ich er­in­ne­re mich an ei­nen Re­bel­len, der hat im Kran­ken­haus Blut­kon­ser­ven ge­stoh­len, um sei­nen Blut­durst zu stil­len.

Ihr US-Kol­le­ge Ste­ven Pin­ker sagt, die Mensch­heit wer­de im­mer fried­li­cher. Tei­len Sie sei­nen Op­ti­mis­mus?

Die Wahr­schein­lich­keit, dass ich als Mann in Mit­tel­eu­ro­pa um­ge­bracht wer­de, ist wäh­rend mei­ner Le­bens­zeit tat­säch­lich wohl so ge­ring wie kaum je zu­vor. Aber für die Zu­kunft wä­re ich da nicht so si­cher.

Was macht das mit Ih­nen per­sön­lich, wenn Sie sich stän­dig mit so gräss­li­cher Ge­walt be­schäf­ti­gen?

Das darf man nicht stän­dig ma­chen. Man muss zwi­schen­drin den Fo­kus auf das Schö­ne rich­ten. Wenn ich in Ost­afri­ka bin, ma­che ich Pau­sen in der Na­tur, ich ge­nie­ße die Warm­her­zig­keit der Leu­te dort oder ich er­freue mich dar­an, wie es Men­schen geht, die wir be­han­delt ha­ben. Die Frau, die vor ei­nem Jahr noch trä­nen­über­strömt von ih­ren schreck­li­chen Er­leb­nis­sen be­rich­tet hat und nun mit ganz an­de­rer Kör­per­hal­tung da­her­kommt. Nicht ge­bro­chen, son­dern selbst­be­wusst.

Dass nun auch Krieg ganz bei uns in der Nä­he ist, ge­hen Sie da­mit ab­ge­klärt um?

Als Psy­cho­lo­ge bin ich fas­zi­niert da­von, wie der Mensch funk­tio­niert, was in ihm steckt. Im Mo­ment bin ich selbst aber durch­aus er­schüt­tert – in mei­ner An­nah­me, wir sei­en si­cher in Eu­ro­pa. Trotz­dem möch­te ich die War­nung aus­spre­chen: Mi­li­ta­ris­mus führt uns ins Ver­der­ben, wir müs­sen da­mit vor­sich­tig sein. Ich plä­die­re für Pa­zi­fis­mus, bin selbst Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer. Das hei­ßt nicht, dass ich sa­ge, man muss al­le Ar­me­en ab­schaf­fen. Aber Ge­walt er­zeugt neue Ge­walt. Wir soll­ten uns in die­ses Hass­ge­fü­ge nicht hin­ein­zie­hen las­sen.

  • Impressum
  • Datenschutz

Urheberrecht © 2023 · DFG-VK · Anmelden